Arbeitsbedingungen Vereinigung Versicherung

Vereinigung Alte Musik: Die Künstlersozialversicherung in der Kritik

Geschrieben von Leif Schrader

Ein Überblick über Argumente und Probleme

Zu Beginn der 80er Jahre als kulturpolitische Errungenschaft, als gesellschaftliche Anerkennung der Bedeutung schöpferischen Schaffens von Künstlern und Publizisten gefeiert, heute umstritten: Die von der Künstlersozialkasse verwaltete Künstlersozialversicherung. Seit dem 01.01.1983 werden Künstler und Publizisten pflichtweise in die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung, später auch in die Pflegeversicherung einbezogen, um Kreative mit unsicheren Auftragslagen und schwankenden Honoraren sozial abzusichern. Hier einige Informationen zum Hintergrund der aktuellen Debatte:

Die Versicherten – abgesichert wie Arbeitnehmer

Die Versicherungspflicht ist zumeist hoch erwünscht: Für die meisten Musiker und Journalisten dürfte die Künstlersozialversicherung angesichts durchschnittlicher Einkommen zwischen 14.000 und 17.600 Euro überlebensnotwendig sein. Deswegen ist auch immer wieder streitig, wer mitmachen darf. Selbständige Künstler und Publizisten, Menschen, die Musik, darstellende oder bildende Kunst schaffen, ausüben oder lehren oder als Schriftsteller, Journalist oder ähnlich publizistisch tätig sind oder dies lehren, so steht es im Gesetz. Die Einzelheiten müssen von Gerichten geklärt werden. Werbefotografen und Visagisten gehören dazu, Kunsthandwerker und Tätowierer nicht, Webdesigner unter Umständen. Selbständige Musiker immer. Sofern sie – dies ist weiter Voraussetzung – regelmäßig über 3.900 Euro im Jahr verdienen und nicht aus anderen besonderen Gründen versicherungsfrei sind. Die Versicherungspflicht wird durch Mitgliedschaft in einer gesetzlichen Krankenkasse eigener Wahl bzw. den gesetzlich vorgesehenen Renten-, Unfall- und Pflegekassen der abhängig Beschäftigten erfüllt. Für die Versicherten wird durch die Künstlersozialversicherung die Hälfte der Beiträge in den genannten Sozialversicherungen übernommen, so ähnlich, wie dies Arbeitgeber für ihre Angestellten zu tun hätten. Gegenüber üblichen Privatversicherungen für Selbständige liegt der Vorteil in den an den Einkünften bemessenen niedrigen Beiträgen, besonders, wenn Familienversicherungsmöglichkeiten hinzutreten.

Die Finanzierung des übernommenen Beitragsanteils – die Künstlersozialversicherungsabgabe

Der zur Hälfte vom Staat übernommene Beitragsanteil wird nicht allein aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert, sondern auch durch die sog. Künstlersozialabgabe. Die Steuerzahler sind mit einem Fünftel am Etat der Künstlersozialkasse (KSK) beteiligt, der Rest wird durch die sog. Verwerter künstlerischer bzw. publizistischer Leistungen aufgebracht. Dies sind einige gesetzlich definierte Unternehmensarten wie Verlage, Sender oder Museen. Aber es ist auch jeder sonstige Unternehmer zu Zahlung verpflichtet, der für Zwecke des eigenen Unternehmens Werbung oder Öffentlichkeitsarbeit betreibt und dabei nicht nur gelegentlich Aufträge an selbständige Künstler oder Publizisten erteilt. Ferner auch Unternehmer, die nicht nur gelegentlich Aufträge an selbständige Künstler oder Publizisten erteilen, um deren Werke oder Leistungen für Zwecke ihres Unternehmens zu nutzen, wenn im Zusammenhang mit dieser Nutzung Einnahmen erzielt werden sollen. Man erkennt leicht: Sowohl in der Variabilität der Gesamtabgabenhöhe (der KSK-Etat, der sich nach Zahl und Wohlstand der Versicherten bemisst, muss zu 80 % ausgeglichen werden!) als auch in den auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffen zu den Abgabeverpflichteten liegt viel Streitpotenzial.

Für den einzelnen Abgabeverpflichteten kommt es auf die Summe der von ihm an selbständige Künstler bzw. Publizisten gezahlten Honorare innerhalb eines Jahres an, Zahlungen an juristische Personen (GmbH, UG, e. V. etc.) bleiben unberücksichtigt. Diese Zahlungen muss er fortlaufend dokumentieren und der KSK einreichen. Kunst-fernere Auftraggeber haben hier durchaus ihre Schwierigkeiten, besonders wenn es sich um kleinere Unternehmen handelt, denen vielfach auch gar nicht bekannt ist, dass z. B. aufgrund der PR-Texte einer beauftragten Ein-Mann-Agentur die KSK-Abgabenpflicht entstanden ist.

Die Probleme:

Im wesentlichen lassen sich in der aktuell geführten Debatte folgende Probleme voneinander abgrenzen:

Erster Problemkreis, der immer wieder zu Debatten über das so einmalige System der Künstlersozialversicherung führt, ist also die Beitragshöhe. Selbständigenverbände weisen darauf hin, dass die Abgabenhöhe bei steigenden Versichertenzahlen (bzw. steigendem Einkommen und dadurch steigender Beitragshöhe für die Versicherten) oder sinkenden Zahlen an Abgabepflichtigen theoretisch unbegrenzt ansteigen könnte. Spitzenwert war 2005 5,8 % (zum Vergleich: 2010 3,9 %; 2013 4,1 %). Insbesondere abgabepflichtige Ein-Mann-Betriebe fühlen sich benachteiligt, haben sie doch neben den schwer zu kalkulierenden Abgabekosten selbst einen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand, um andere, teils nicht viel schlechter verdienende Selbständige zu subventionieren, ohne dass sie selbst in den Genuss sozialer Förderung kämen.

Mit dem Modell der variablen Abgabehöhe hat auch ein zweiter, aktuell hinzugekommener Problemkreis zu tun: die Kontrolle der Abgabenmeldung. Der signifikante Rückgang der Abgabenquote vom Jahr 2005 bis 2010 kam vor allem dadurch zustande, dass die für die Abgabenkontrolle zuständige Rentenversicherung bei den vermuteten Abgabenpflichtigen einfach nachhakte und so das Abgabenaufkommen kontinuierlich verbesserte. Vielen Betrieben war ihre Abgabenpflicht so offenbar gar nicht bekannt. Seit 2010 lässt dieser Eifer jedoch spürbar nach, vielleicht, weil die Deutsche Rentenversicherung für ihren Beitragserhebungsservice keine Vergütung erhält, die dafür erforderlichen Kapazitäten also selbst finanzieren muss. Schlechtere Kontrollen bedeuten jedoch automatisch höhere Beiträge für die ehrlichen Abgabenzahler. Höhere Kontrolldichten belasten wiederum die Wirtschaft, die ohnehin schon eine Vielzahl von Kontrollen erdulden muss, von Steuer- über Sozialabgaben- bis hin zu diversen möglichen Gewerbeaufsichtsprüfungen, zumal man sich dort auch gegen den damit einhergehenden Generalverdacht wehrt, eben nicht abgabenehrlich zu sein.

Ein dritter problematischer Bereich umfasst die Abstraktion der Abgabe von den tatsächlichen Versicherungsverhältnissen. So müssen Abgabepflichtige häufig auch Umsätze mit Dienstleistern berücksichtigen, die zwar künstlerische bzw. publizistische Leistungen darstellen, deren Erbringer aber gar nicht über die KSK versichert sind – weil sie zum Beispiel auch nichtkünstlerische Dienstleistungen in ihrem Unternehmen anbieten. Auch “Mehrfachabgaben” sind möglich – wenn beispielsweise ein Orchesterbetreiber Instrumentalisten engagiert und seinerseits die Gesamtleistung des Ensembles gegenüber dem Veranstalter abrechnet. Die Abgabe wird regelmäßig für den Veranstalter aus der gezahlten gesamten Gage an den Orchesterbetreiber fällig, dieser hat seinerseits die Abgabe aus den weitergegebenen Gagen an seine Musiker zu zahlen. Dies ist übrigens auch eine Tücke, die gerade in unserer Szene der Alten Musik relevant ist. Vielfach werden hier Ensembles durch einen oder einige Musiker betrieben, die sich weitere Spieler für ihre Auftritte hinzuengagieren. Nicht allen ist klar, dass sie damit in aller Regel zum Abgabenschuldner werden und die KSK nicht mehr nur von ihrer guten Seite als Versicherte kennenlernen. Wer hier von der KSK geprüft wird und bisher für sein Ensemble noch keine Abgaben geleistet hat, wird mit Nachzahlungen für die Auftritte der letzten 5 Jahre rechnen müssen. Da fällt schnell eine Summe an, die existenzbedrohend sein kann.

An vierter und hier letzter Stelle kann außerdem das EU-Recht der KSK Probleme bereiten. Da unser deutsches KSK-System so ohne Beispiel in der EU ist, besteht die Gefahr, dass eines Tages die Künstlersozialabgabe aufgrund ihrer faktischen Ausgestaltung von den europäischen Institutionen als eine Art Umsatzsteuer qualifiziert wird. Es ist den Mitgliedstaaten durch EU-Recht jedoch untersagt, neben den bestehenden allgemeinen Umsatzsteuern weitere Steuern einzuführen oder beizubehalten, die den Charakter einer Umsatzsteuer haben.

Fazit:

Trotz aller Probleme und Bedenken – für uns als Künstler muss am Ende außer Frage stehen, dass eine Künstlersozialversicherung für den Erhalt einer freien Musikszene Bedingung ist. Sie bildet für viele Musiker die einzige soziale Absicherung und ist sicher gerade im Bereich der Alten Musik umso gerechtfertigter, als dieser in einem Feld der Kulturwirtschaft liegt, das einer Ökonomisierung besonders fern liegt. Einer Reformdebatte, an deren Ende nicht nur die Künstler durch eine dauerhafte Bestandssicherung ihrer sozialen Absicherung als Gewinner stehen, sondern womöglich auch die Abgabeschuldner, muss man sich nicht entziehen.

Geschrieben von

Leif Schrader

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