Junge Leute

Jugendförderung in der Alte-Musik-Szene

Konzert Berliner Dom 2014 (C) Bachs Erben
Konzert Berliner Dom 2014 (C) Bachs Erben
Geschrieben von Klaus-Dieter Voigt
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Kloster Michaelstein

Im Kloster Michaelstein gibt es eine lange Geschichte von Kursen mit dem Thema „Alte Musik für junge Leute“. 1968 zogen Sommer- und Winterkurse, die es schon seit 1958 gab, unter dem Motto „Jugend musiziert“ in die Klostermauern ein. Unter der Leitung von Dr. Eitelfriedrich Thom arbeiteten zahlreiche Dozenten mit den jungen Leuten. Meistens stand Alte Musik von Telemann bis Haydn auf dem Programm. Man kann heute in eigentlich jedem Orchester nachfragen: Überall gibt es ein, zwei gestandene Musiker, die mit leuchtenden Augen erzählen, wie schön es doch damals in Michaelstein und wie wichtig diese Erfahrung für die eigene weitere Entwicklung war.

2005, Sommer und Winterkurse waren inzwischen Geschichte, entwickelte die MBM (Mitteldeutsche Barockmusik e. V.) die Idee, ein Barockmusik-Nachwuchsorchester zu initiieren. Da es in Michaelstein in dieser Richtung einschlägige Erfahrungen und darüber hinaus ideale Arbeitsbedingungen gab, wurde die Landesmusikakademie Sachsen-Anhalt ausgewählt, diese Idee praktisch umzusetzen. 2006 im Sommer kam dann das Jugendbarockorchester Michaelstein unter dem Namen BACHS ERBEN zu seiner ersten Sommerarbeitsphase zusammen. Seitdem fanden etwa 80 Konzerte statt, drei Auslandsreisen, zahlreiche Festivalteilnahmen und Rundfunkmitschnitte wurden absolviert. Was ist das Erfolgsrezept von BACHS ERBEN?

Die Dozenten

Seit 2006 ist die „Akademie für Alte Musik Berlin“ das Patenorchester von BACHS ERBEN, künstlerischer Leiter ist Raphael Alpermann. Ergänzt und erweitert wird das Angebot durch Projekte mit Lorenzo Ghirlanda, der so bekannte Alte-Musik-Größen wie Luca Pianca oder Dorothee Oberlinger nach Michaelstein brachte.

© BACHS ERBEN

© BACHS ERBEN

Die Orchesterphilosophie

Stephan Mai, ehemaliger Konzertmeister der AKAMUS, sagte „Wir wollen die jungen Leute mit dem Virus der Barockmusikbegeisterung infizieren“, und Raphael Alpermann „Musik ist Tanz, ist Sprache. Musik muss mit Körper und Geist empfunden werden“. Es geht den Dozenten nicht nur darum, die Musik von den jungen Leuten ordentlich spielen zu lassen. Musik muss leben, die Instrumente müssen singen, die Noten müssen sprechen und die Instrumentalisten tanzen – alles muss ein Spaß für Akteure und Zuhörer sein.

Aber es geht auch nicht nur um den Spaß. Die Probenarbeit ist eine Kombination von einem strengen Korsett und Mut zur Individualität. Das strenge Korsett wird angelegt durch Zwänge wie Zusammenspiel, Rhythmus, Artikulation, Intonation und Tempo. Steht das musikalische Gerüst im Rohbau, ist es den jungen Musikern erlaubt und wird sogar gewünscht, eigene Impulse einzubringen. Die Herangehensweise an das Musizieren von Alter Musik ist auf andere Musikepochen durchaus übertragbar: Das Modell, im Orchester kammermusikalisch zu musizieren, zeichnet Spitzenorchester aus und kann nicht früh genug verinnerlicht werden.

Die jungen Musiker von BACHS ERBEN haben oft ein unterschiedliches Ausgangsniveau. Die Aufgabe der Dozenten ist nun, jeden an seinem Platz zu fördern. Die etwas leistungsschwächeren jungen Leute lernen von den leistungsstärkeren. Diese aber lernen wiederum dadurch, dass sie entweder ihre Stimmgruppe oder als Konzertmeister sogar das ganze Ensemble führen. In den Proben und später im Konzert bekommen mehrere Geiger die Chance, sich als Konzertmeister zu beweisen. Die Besonderheit ist, dass BACHS ERBEN in der Regel ohne Dirigenten spielen. Der Konzertmeister bestimmt das Tempo und gibt den Einsatz für das Orchester, in dem keiner die Verantwortung für die Interpretation an die übergeordnete Institution des Dirigenten abgeben kann. Es ist dann ein besonderes Gruppenerlebnis, nach gelungenem Konzert den Applaus entgegen zu nehmen.

© BACHS ERBEN

Im Konzert mit Andreas Scholl, August 2014 © BACHS ERBEN

Gar nicht selten passiert es dann, da spielen die jungen Leute in einer Weise inspiriert und voll auf Risiko, dass man als Zuhörer gar nicht mehr aus dem Staunen herauskommt. Dann haben die Dozenten das erreicht, was sie wollten – sie haben ein Feuer entfacht. Dieses Feuer der Begeisterung wird die jungen Leute ihren Weg finden lassen. Pessimisten sagen der Alten Musik ein langsames Siechtum voraus. Optimisten glauben daran, dass sich Individualität und Qualität durchsetzen werden.

Natürlich wird sich die Musikszene in der Zukunft verändern. Diese Veränderung wird aber nicht von Mitläufern bestimmt. Vielleicht braucht es ja wieder Persönlichkeiten wie Reinhard Goebel oder Nikolaus Harnoncourt, um der Alten Musik neue Impulse zu geben. Die Pioniere der Alte-Musik-Bewegung haben in ihrer Zeit alle Segnungen der Tradition in Frage gestellt. Diese Generation sucht nun „Erben“, die mit Enthusiasmus neue Wegen beschreiten. Der Name BACHS ERBEN wird so zugleich zum Programm.

Nach wie vor gibt es in der jungen Generation richtige Barockmusikfans. Das Problem ist allerdings, diese auch zu finden. Die beste Werbung ist die Mundpropaganda. Ein erfolgreiches Projekt spricht sich herum. Aus unserer Erfahrung ist eine breit gestreute Werbung wenig effektiv, da Schulen mit derartiger Werbung überhäuft werden. Am effektivsten ist der Weg über die Lehrer. Sind diese überzeugt, dass der Schüler im Orchester etwas lernen kann, überredet er auch den Schüler.

Dann aber haben die guten jungen Musiker die Qual der Wahl. Bundesjugendorchester, Landesjugendorchester und weitere überregionale Projekte bieten vielfältige Musiziermöglichkeiten. In diesem Wettbewerb gilt es, das eigene Angebot möglichst attraktiv zu gestalten. Das gilt vor allem für die künstlerischen Inhalte, aber auch für das organisatorische Umfeld und nicht zuletzt auch für die finanziellen Konditionen. Sachsen-Anhalt fördert das Projekt BACHS ERBEN vorbildlich. Schirmherr von BACHS ERBEN ist der Präsident des Landtags von Sachsen-Anhalt, Detlef Gürth. Das Land Sachsen-Anhalt war es auch, das BACHS ERBEN in der Musikakademie Sachsen-Anhalt für Bildung und Aufführungspraxis eine Heimat gegeben hat.

© BACHS ERBEN

© BACHS ERBEN

BACHS ERBEN, das erste und einzige deutschlandweite Jugendbarockorchester, hat folgende Merkmale:

lebendige Interpretation

kammermusikalisches Spiel ohne Dirigenten

Eigenverantwortung für die Interpretation

jugendlicher Elan

BACHS ERBEN suchen immer wieder neue Mitglieder. Eine Kontaktaufnahme ist unter www.bachs-erben.de, per e-Mail an bachs-erben@web.de oder per Telefon unter 03944-903045 möglich.

Geschrieben von

Klaus-Dieter Voigt

Unser Autor arbeitet als Referent an der Musikakademie Sachsen-Anhalt und als freischaffender Barockmusiker (Viola, Viola d'amore, Violoncello da Spalla). Natürlich macht er am liebsten selbst Musik. Es ist aber für ihn auch keine ungenutzte Lebenszeit, dabei zu helfen, junge Leute mit dem Virus der Barockmusikbegeisterung zu infizieren. Deshalb sitzt er auch gerne mal am Schreibtisch, telefoniert und macht Pläne. Seine Laune ist nicht von Gold, Wirtschaftswachstum und steigenden Aktienkursen abhängig. Spaß macht es ihm, in alten Notenarchiven zu wühlen und als Musiker dem originalen Klang nachzuspüren und zu merken, dass es junge Leute gibt, die Barockfans sind.

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